"Spontan habe ich entschieden..."

„Liebe Eltern

Aufgrund des schönen Wetters habe ich mich ganz kurzfristig dazu entschlossen, übermorgen einen Ausflug...“

 

„Hallo Katharina, gut erreiche ich dich. Ich möchte dir nur kurz mitteilen, dass ich das Geburtstagsprogramm für morgen spontan umgestellt habe und wir mit den Kindern nun in den Zoo gehen. Könntest du Fabian mitteilen, dass er...“

 

„Guten Tag Herr Haxili. Könnten Sie Medim bitte mitteilen, dass er morgen doch nicht mit dem Fahrrad zur Schule kommen soll? Wir haben das Programm geändert und gehen stattdessen...“

 

Für die meisten Eltern sind solche Mitteilungen kein grösseres Problem, ausser dass das eine oder andere umorganisiert werden muss.

 

Dann gibt es aber auch Eltern, denen beinahe das Herz stehen bleibt bei solchen Informationen; Kinder, welche vom Aspergersyndrom betroffen sind oder auch einige Kinder mit ADHS, haben grosse Schwierigkeiten, sich auf Veränderungen einzulassen. So können nur schon Sporttage, Theaterbesuche, Projektwochen, Ausflüge oder auch nur vertauschte Fächer im Stundenplan diese Kinder an den Rand der Verzweiflung bringen (und damit auch die Eltern). Während sich alle andern unglaublich auf diese willkommene Abwechslung freuen, bedeutet nur schon die Ankündigung solcher Anlässe für diese Kinder zuerst einmal Stress.

 

Kommt dann noch der Faktor Zeit hinzu (kurzfristig, morgen, spontan, ....), kann die Reaktion eine komplette Verweigerung sein. Alles Erklären und gut Zureden hilft dann wenig, dazu kommt bei den Eltern meist die Scham, dass ihr Kind „schon wieder“ anders oder schwierig oder mühsam oder ... ist und das erst noch in einer Situation, in der man sich eigentlich freuen müsste.

 

Ich fände es schön, wenn sich mehr Menschen bewusst wären, dass es doch einige Kinder, Jugendliche (und auch Erwachsene) gibt, die grosse Schwierigkeiten haben, sich auf Veränderungen einzulassen. Nur schon dieses Bewusstsein würde vielen Betroffenen und ihren Angehörigen einiges an Stress nehmen. Würde nämlich nicht automatisch davon ausgegangen, dass jeder Ausflug, jede Aktivität einfach nur „toll“ ist, würde auch mehr nachgefragt werden, für wen solche Veränderungen schwierig sein könnten. Damit fühlten sich viele Eltern von betroffenen Kindern schon besser verstanden und nicht mehr so allein.

Betroffene Menschen werden nie so flexibel mit Veränderungen umgehen können, wie andere. Aber es ist möglich, dass sich Eltern mit ihren Kindern Strategien zulegen, wie sie zukünftig mit solchen Situationen umgehen können.

Dabei geht es vorerst nicht darum, dass die Kinder lernen, in solchen Situationen „das Schöne“ zu entdecken, sondern die ausgemachten Strategien sollen helfen, einen gewissen Halt und Vorhersehbarkeit und dadurch etwas mehr Sicherheit zu geben. Je nach Kind, Alter, individuellen Vorlieben und Schwierigkeiten können solche Strategien völlig anders aussehen und müssen auch nach und nach angepasst werden. Hier nur mal ein paar Ideen:

 

  •  Ich weiss, dass es immer wieder zu kurzfristigen Änderungen kommen kann. Das stresst mich immer mega, wenn ich es erfahre. Ich darf dann zu Hause fünf Minuten laut schimpfen und hässig sein, danach setze ich mich mit Mami zusammen und wir besprechen einen möglichen Ablauf.
    Ich notiere mir Eckpunkte, die sicher sind und mache mir eine Liste. Diesen Zettel habe ich als Beruhigung in der Hosentasche dabei. Ich weiss aber, dass auch diese Liste nicht ganz sicher ist.
  •  Ausflüge machen mir Angst, weil ich dort nichts kenne. Ich gehe aber sicher zwei Stunden mit. Wenn es gar nicht geht, kann Frau Siegenthaler Mami anrufen und sie holt mich dann. Ich darf immer neben Frau Siegenthaler gehen, Mami macht das mit ihr ab, das hilft mir.
    Vor dem Ausflug überlege ich mir mit Mami, was ich schon kenne. Vielleicht finden wir auch Fotos im Internet. Ich nehme meine Uhr mit, dann weiss ich immer, wie spät es ist. Am Abend liest mir dann Papi 20 Minuten länger als sonst aus dem Lexikon vor.
  • Ich muss nicht die gleichen Dinge cool finden, wie die andern in der Klasse. Ich gehe trotzdem an Exkursionen mit. Herr Fischer gibt mir vorher so viele Informationen wie möglich. Ich schaue dann zu Hause mit Mami noch im Internet nach. Ich weiss, dass der Tag um fünf Uhr fertig ist. Ich sitze im Zug neben Patrick. Und ich nehme sicher zwei Lyonersandwiches und drei Schoggistängeli mit.
  • Immer wenn etwas anders ist oder geändert wird, wird es eng in meinem Hals. Ich sage das zu Hause sofort Mami oder Papi, möchte aber dann zuerst noch Pause haben und ich lese zuerst ganz allein in meinem Zimmer 30 Minuten. Dann esse ich meine Apfelschnitze und das Joghurt. Dann mache ich meine Hausaufgaben. Dann schauen wir die Veränderung an und ich suche drei Punkte heraus, die ich schon kenne oder die sicher sind. Die schreibt mir Mami oder Papi dann auf Post-it Zettel. Die lege ich ins Etui oder oben ins obere Fach der Schultasche.

Wenn man sich hinsetzt und mit betroffenen Kindern und Jugendlichen solche Situationen in Ruhe bespricht, stellt man häufig fest, dass sie unglaublich froh sind, einfach nur schon einen Plan zu haben, wie zukünftig die nächsten Schritte sein könnten, wenn wieder etwas Unvorhergesehenes eintritt.

Ob die Strategie dann auch wirklich optimal funktioniert am Tag X, muss man ausprobieren. Häufig entlastet diese Kinder aber nur schon das Wissen, dass man gestresst sein darf und es blöd finden kann, ganz enorm und sie fühlen sich ihren Ängsten nicht mehr nur ausgeliefert und von der Situation überrollt.

 

 

Die betroffenen Kinder und Jugendliche sollen Lust bekommen, die neuen Strategien auszuprobieren. Auch das ist schon ein grosser Schritt weg von der Hilflosigkeit hin zum Gefühl, dass man auch kurzfristigen Veränderungen nicht ganz wehrlos ausgeliefert ist, sondern nach dem ersten Schreck Haltegriffe und Eckpunkte bekommt, die einem wieder eine gewisse Sicherheit und Struktur vermitteln.

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